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Des Läufers Zehendilemma bis Mental Breakdown

  • Autorenbild: Christine Eder
    Christine Eder
  • 29. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. Juni

Usbekistan, 232km Etappenrennen



Laufen ist wahrscheinlich einer der ungefährlichsten und unspektakulärsten Sportarten die ich kenne, aber auch da ist man nicht vor Verletzungen und Belastungen gefeit. Jeder ambitionierte Trailrunner hat schon mal Erfahrung gemacht mit den ein oder anderen Wehwehchen. Ein weitverbreitetes Phänomen unter Läufern ist das Ablösen der Zehennägel- meist bedingt durch zu enges Schuhwerk, Kompressionssocken oder auch zu langen Etappen.

So erging es mir auch dieses Jahr bei unserem Ultralauf durch Usbekistan: Ich hatte zwar schon nach dem ersten Tag bemerkt, dass sich wahrscheinlich bei meinem rechten Fuß ein paar Zehennägel verabschieden werden, aber diese machten mir keine großen Beschwerden, bis zum Ende der 3. Etappe. Ausgerechnet ein Downhill – eine meiner Lieblingsdisziplinen, wurde mir zum Verhängnis:


Voll motiviert und freudestrahlend krachte ich den felsigen Weg vom Berg hinunter – allerdings krachte auch bald mein Fuß gegen einen größeren Stein, was schonmal ziemlich schmerzte unter meinem losen Großzehennagel. Ich muss gestehen, ich war schon ziemlich geschlaucht, müde und merkte, dass ich meine Füße nicht mehr so beschwingt und leicht hebe. Und auch ein zweites Mal krachte ich voll mit meinem Zeh dagegen – diesmal merkte ich, wie sich da unten etwas tat. Es fühlte sich an, als ob mein Zeh eine Blutlache entleerte, es wurde warm und feucht und irgendein Druck hat nachgelassen. Noch 5km zum Camp- das musste ich durchhalten und die Schmerzen ignorieren, denn wenn ich den Schuh jetzt ausziehe und nachschaue, würde ich nie wieder reinkommen. Also durchhalten, Kopf ausschalten und ab ins Camp. Dort konnte ich nach der täglichen „Säuberungsaktion der Füße“ das Ausmaß meiner Zehen betrachten.


Meine einzige Sorge galt meiner Großzehe, hatte sich doch tatsächlich durch die zwei Schläge mein Nagel schief nach hinten unter die Haut gebohrt und eine Blase an der Nagelwurzel gebildet. Ein grauenhafter Anblick unter den Bedingungen. Dank dieses Dilemmas hat es mich auch innerhalb kürzester Zeit emotional total aus den Latschen gekippt. Mit so einer Misere konnte ich mir unmöglich vorstellen weiterzulaufen. Ich konnte ja kaum von Zelt zu Zelt kommen. Mit meinem gut bestücktem Medipack machte ich mich ans Werk und versuchte unter halbwegs sauberen Umständen den Nagel mittels Leatherman zu reponieren- dafür brauchte ich gleich mehrere Stunden, weil es derart schmerzhaft war und mir immer wieder schlecht wurde, aber ich hatte ja den restlichen Nachmittag Zeit. Als der Nagel zumindest annähernd wieder in natürlicher Position war, wurde die Blutblase entleert, alles nochmal desinfiziert und solide zu verbunden. Spätestens jetzt war ich froh, über meine Erfahrung in der Wundversorgung und dass ich mit dem Verbandmaterial nicht gespart hatte - mein Beruf kommt mir wirklich oft zu Gute! Am Abend ließ ich mein Werk zur Sicherheit noch von den Ärzten vor Ort inspizieren. Laut ihnen konnte ich im Grunde nichts anderes machen, als den Nagel so zu fixieren, dass er sich nicht bewegt. Beim Laufen?? Am nächsten Tag standen uns 64km bevor… Ich war erstmal vollkommen am Boden zerstört und musste mich mit dem Gedanken vertraut machen, dass mich ausgerechnet ein simpler Zeh ausknockte. Durch gutes Zureden von Valentin und ein paar Freunden beruhigte ich mich ein wenig. Ich glaube, jeder kennt diese Gedanken, diese Auf und Abs der Gefühle in so einer Situation: Da trainiert man ewig auf ein Event hin, scheut weder Kosten, Zeit noch Mühen und dann scheitert es an so banalen Dingen. Ich war wirklich froh über die aufmunternden Worte, Umarmungen und den Trost der Kollegen. Unser Conclusio stand fest: erstmal darüber schlafen und dann an den Start- Ich musste es versuchen, ansonsten würde ich es ewig bereuen. Gleichzeitig war mit klar, dass ich keine Superinfektion riskieren wollte „nur“ wegen einem Rennen. 

Am nächsten Tag nahm ich noch ein entzündungshemmendes Schmerzmittel zum Frühstück, quälte mich in Kompressionssocken und Laufschuhe rein (gottseidank sind diese immer bis zu 3 Nummern größer) und ging an den Start. Ich wusste, wenn es nicht funktioniert, würde ich es schon in den ersten paar Kilometern merken und schwor mir, das Rennen dann auch sofort zu beenden, um gröbere Schäden zu vermeiden. Doch es blieb alles aus. Der Verband war bombenfest und die Schmerzen nur vereinzelt. Ich baute auch bewusst ein paar Gehstrecken ein, um meine Zehen nicht zu überstrapazieren. Aber auch nach dieser langen Etappe und bei den folgenden konnte ich meine Wunde gut versorgen und annähernd schmerzfrei durchkommen.


Fotos: vor - während - nach der langen Etappe

 

Eines ist klar: Fußmodel werde ich in diesem Leben nicht mehr! Aber jetzt im Nachhinein kann ich über die ganze Aktion schon wieder lachen. Ich weiß zwar noch immer nicht, wie ich die folgenden Etappen so gut überstehen konnte, aber wie wir wissen:

in der Renn-Situation ist so einiges möglich!

 

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